Entwicklung des Modellraketenfluges in Deutschland

Immer wieder taucht die Frage auf, worin die Ursachen liegen, daß in Deutschland der Modellraketenflug so wenig entwickelt ist. Es wird viel darüber geklagt, daß in Deutschland so restriktive Gesetze in Bezug auf Modellraketenflug bestehen, so wenig los sei und überhaupt anders als in vielen Ländern kein bundesweiter Dachverband besteht, an den man sich wenden kann. Heute kann man nicht nur in den USA, sondern auch in vielen anderen europäischen Ländern wie Großbritannien, Schweden oder der Schweiz problemlos stärkere Treibsätze kaufen. Das Hobby wurde so um viele Möglichkeiten wie Raketengleiterflüge oder High-Power Starts erweitert. In einigen Ländern wie Großbritannien gehören Modellraketen inzwischen schon zum Standardsortiment der Hobbyshops.

Warum ist das bei uns anders? Dazu muß man auf die historische Entwicklung in der Bundesrepublik und auch der ehem. DDR verweisen. Wenn man diese mit der Entwicklung in anderen Ländern vergleicht, wird man selbstkritisch einräumen müssen, daß die heutigen Mißstände von den Raketenfliegern hausgemacht sind. Der Modellraketenflug wäre hierzulande wesentlich weiter, wenn nicht in den letzten Jahrzehnten von den Akteuren selber entscheidende Fehler gemacht worden wären.

Die Modellraketen-Fliegerei begann weltweit in den 50er Jahren. In den USA wie in Europa experimentierten viele Bastler im beginnenden Raumfahrtzeitalter mit selbstgebauten Modellen und Treibsätzen. Dieser teilweise nicht ganz ungefährlichen Entwicklung steuerten in den USA Pioniere wie Harry Stine, Orville Carlisle und Vern Estes entgegen, indem sie eine sichere industrielle Produktion aufzogen. Auch in Osteuropa wurden die ersten Motoren entwickelt, etwa die Adast-Motoren in der ehemaligen CSSR.

Damit waren die Modellraketen zum ersten Mal für ein breites Publikum verfügbar und wurden durch die Präsenz in den Hobby- und Spielwarengeschäften schnell bekannt. Es entstanden die ersten Organisationen, in den USA 1958 die National Association of Rocketry (NAR). In Osteuropa wurde der Modellraketenflug aus politischen Gründen in die entstehenden paramilitärischen Sportorganisationen eingegliedert. In Deutschland spiele seit den 60er Jahren vor allem die damalige HOG (Hermann-Oberth-Gesellschaft) eine entscheidende Rolle.

Ein Handikap bliebt in der alten Bundesrepublik vor allem die mangelnde Verfügbarkeit von Motoren und Zubehör. Lange Zeit war nur ein Treibsatz, der Held-1000, erhältlich. Seine Anwendungsmöglichkeiten blieben durch seine Konstruktion sehr eingeschränkt. Er wurde ursprünglich für Raketengleiter entwickelt und war mit seiner langen Brenndauer und seiner geringen mittleren Schubkraft sowie einer fehlenden Ausstoßladung zwar für Gleiter optimal, für Modellraketen aber nur bedingt zu gebrauchen. Während normale Modellraketentreibsätze max. 1-2 Sekunden Brenndauer haben, bringt es selbst der heute etwas modifiziert erhältliche Held-1000 Treibsatz noch auf 5 Sekunden; ursprünglich waren es sogar 10. Eine Ausstoßladung kann nach der geltenden Gesetzeslage nur illegal eingebaut werden. Auch die in anderen Ländern vorangeschrittene Materialentwicklung wurde von den Verantwortlichen in der HOG lange ignoriert. So wurde noch in den 70er Jahren die Verwendung von schweren, auch von der Sicherheit nicht immer idealen Holzrohren propagiert.

Estes versuchte Anfang der 70er Jahre mit den Firmen Schuco und Mattel nach Deutschland zu expandieren. Diese Versuche scheiterten jedoch trotz teilweise massiver Werbeuntersützung (im Fall von Mattel sogar mit TV-Spots) an einem ungenügend entwickelten Markt, der, anders als in den USA, nicht kontinuierlich gewachsen war. Gesetzliche Hürden (damals noch eine Höhenbegrenzung von 100 Metern sowie die bis heute gültigen Verkaufsbeschränkungen bei Motoren) taten ein weiteres. Eine Markteinführung im Hauruck-Verfahren ließ sich auch angesichts der fehlenden Vereinsstrukturen nicht durchsetzen und die Raketen verschwanden wieder vom deutschen Markt.

Zu diesem Zeitpunkt war die HOG die einzige Organisation für Modellraketen. Die HOG war primär eine akademisch und raumfahrtorientierte Organisation, getragen von ehemaligen Peenemündern, die den Modellraketenflug als Nachwuchsförderung (technisch-wissenschaftlicher Nachwuchs) betrieb und damit nur ein Nischendasein ermöglichte. Der große Durchbruch war damit nicht zu erreichen, die Mitgliedszahlen hielten sich mit einigen wenigen Interessierten auch im bescheidenen Rahmen.

Der Modellraketenbau in der Bundesrepublik fristete somit ein eher elitäres Schattendasein. Erst Ende der 70er Jahre schien wieder etwas voranzugehen. Wolfgang Carstens, der lange in den USA gelebt hatte, gründete seine Firma ESE und begann nach dem Rückzug von Mattel mit dem Vertrieb von Estes und FSI Produkten. Seine Strategie war, die existierenden Modellflugvereine und Verbände einzubinden. In der Tat war durch die Zusammenarbeit von Leuten wie Harry Stine und dem Tschechen Otakar Saffek eine internationale Sportraketen-Szene entstanden, die in dem Weltluftsportverband FAI eingebunden war.

Es gelang, Sportraketenflug in die Strukturen des Deutschen Aero Clubs (DAeC) einzubinden. Zum ersten Mal traten auch deutsche Teilnehmer bei den internationalen Europa- und Weltmeisterschaften an. Trotzdem brachte auch dieser Schritt keinen entscheidenen Durchbruch, was verschiedene Ursachen hatte. Zum einen brauchten Gruppen wie die HOG bis in die späten 80er Jahre, um überhaupt Notiz von der FAI zu nehmen. Zum anderen wurde mit dem Sportmodellraketenflug nur ein Teil der gesamten Modellraketenszene abgedeckt. Lt. einer Umfrage von Countdown aus den 80er Jahren sind nur etwa 5% der Modellraketenflieger überhaupt an Leistungssportwettbewerben und den sich daraus ergebenden Strukturen interessiert.

Schwächen zeigte dieses Modell auch deshalb, weil die existierenden Modellflugvereine auf ihre traditionellen Flugzeuge fociert blieben und Modellraketen daher bestenfalls als Randerscheinung geduldet wurden. Der DAeC selber blieb als Organisation durch verkrustete Strukturen selbst für viele traditionelle Modellflieger so unattraktiv, daß es in den 80er Jahren zur Gründung eines Konkurrenzverbandes, dem Deutschen Modellfliegerverband (DMFV), kam. Da sich der DAeC den Strukturen des Deutschen Sportbundes anglich, um u.a. die Gemeinnützigkeit zu erhalten, wurde das allgemeine Fliegen zugunsten des Leistungssportes zurückgeschraubt bis verdrängt. Der Großteil der Modellraketenflieger blieb also weiterhin von einer Verbandsunterstützung ausgesperrt.

Bereits in den 70er Jahren hatte sich die kleine aktive Gruppe der Raketenflieger in der HOG in heftige Grabenkämpfe verwickelt, in deren Verlauf sich die Nürnberger Gruppe um Thorwald Petersen abtrennte und einen eigenen Verein, dem Raketenmodellsportverein 82 e.V. (RMV) gründete. Die folgenden Jahre waren bestimmt von scharfen Auseinandersetzungen zwischen ihm und dem Leiter der "technisch-wissenschaftlichen Nachwuchsgruppe" bei der HOG, Herbert Gründler.

Die Idee des RMV, endlich einen Verein zu schaffen, der unabhängig von Vereinen mit anderer Zielsetzung nur Modellraketenflug betreibt, fand anfangs große Zustimmung und wurde u.a. auch von Wolfgang Carstens unterstützt. Es entstand das RMV-Vereinsmagazin, Modellraketen-Magazin, das von Oliver Missbach geleitet wurde. In dieser Phase sah es sehr nach einem Aufbruch aus. Bald entzündete sich jedoch die Diskussion um die Person des ersten Vorsitzenden des RMV, T. Petersen. Diesem wurde selbstherrliches Verhalten vorgeworfen und es kam zu neuen Vereinsgründungen und Austritten. In Hamburg entstand der FMC Saturn um Wolfgang Carstens, in München der Münchner Modellraketenverein e.V. (MMV). Mit dem Magazin Countdown um die ehemaligen RMV-Mitglieder Karl Gum und Oliver Missbach entstand erstmals ein unabhängiges Fachblatt; das Buch Fliegende Modellraketen selbst gebaut von O. Missbach war 1986 das erste deutschsprachige Standardwerk zu diesem Thema.

Kommerziell gelang es ESE als kleine Firma nicht, außerhalb des Mail Order-Absatzkanals eine nennenswerte Reichweite der Produkte zu erreichen. Die Preise lagen, bedingt durch die hohen Frachtkosten aus den USA und dem geringen Absatz, sehr hoch, die Akzeptanz durch die Kunden für Modellraketenprodukte litt dadurch stark. Studien in den USA zeigen, daß nur die relativ starke Verfügbarkeit der Standardraketen in Hobby-, Spielzeug- und Modellbaugeschäften eine nennenswerte Anzahl von längerfristigen Interessenten garantiert. Sind Treibsätze etc. nur schwer zu beschaffen, wenden sich neue Kunden schnell anderen Hobbies zu.

Ein großes Handicap in Deutschland blieb damit auch die Verbreitung über den Einzelhandel. Die meisten Geschäfte lehnten, wie erwähnt, den Verkauf wegen der ristriktiven Verkaufs- und Lagerbestimmungen ab. Die große Zielgruppe jugendlicher Raketenflieger konnte dadurch überhaupt nicht erreicht werden, auch für die fortgeschrittenen Modellraketenflieger gab es keine geeigneten stärkeren Motoren. Während in den USA diese zwei Gruppen die treibende Kraft der Expansion wurden, blieb in Deutschland nur der alte kleine Kern übrig.

Besonders die sog. T2-Schein Regelung bildet bis heute das größte Handicap. Während weltweit große Gruppen von High-Power Anhängern entstanden und es etwa in den USA zur Gründung eines eigenen Verbandes, der Tripoli, kam, bleibt dem Normalflieger in Deutschland in der Praxis nur der illegale Aufstieg oder das Ausweichen ins Ausland. Zwar kann der Schein theoretisch bei jedem Ordnungsamt gemacht werden, in der Praxis bietet aber neben der DERA in Berlin nur die sich mittlerweile in RAMOG umbenannte technisch-wissenschaftliche Nachwuchsförderungsgruppe der HOG eine Schulung und Prüfung an. Für die RAMOG ist diese Praxis seit Jahrzehnten ein willkommenes Mittel, um neue Mitglieder zu rekrutieren und Gebühren zu kassieren, für den Modellraketenflug insgesamt ist es das größte Handicap auf dem Weg zu mehr Popularität.

Für Lockerungen der Bestimmungen fehlte eine geeignete Lobby. Zu einer gemeinsamen Koordination der Aktivitäten von Firmen und Vereinen kam es nie. Die Interessenten und der Nachwuchs blieben aus oder wurden erst garnicht erreicht. Die szeneninternen Streitigkeiten bestehen im Prinzip bis heute weiter. Jeder der alten Gruppen (HOG/RAMOG, RMV und der DAeC) beharrte auf einer Art Alleinvertretungsanspruch, ohne zu sehen, daß sie selber einfach zu unattraktiv waren und durch die Forcierung auf einen kleinen Teil des Spektrums (Wettbewerbsfliegen, Amateurraketenbau) den großen Rest ausschlossen.

Ende der 80er Jahre versuchten der MMV und die WASA, mit einer unkonventionellen Veranstaltung diese Ausgrenzungen zu überwinden und veranstalteten jährlich bei Traunstein die Modellraketen-Festivals. Die Idee war, jeder Richtung etwas anzubieten, so entstand eine Mischung aus Wettbewerbsfliegen, Showflügen, Workshops und Abendveranstaltungen. Die Veranstalter schafften es, auf Anhieb erstmals in Deutschland eine nennenswerte Menge Teilnehmer aus diversen europäischen Ländern zusammenzubringen. Das von allen gelobte Festival entwickelte sich rasch zum Publikumsmagneten und kann bis heute als größte Modellraketen-Veranstaltung in Westeurope bezeichnet werden.

Die Veranstalter schafften diesen Erfolg völlig unabhängig von bisher bestehenden Verbänden und Vereinen und finanziellen Förderungen. Dieser große Erfolg, der Mißerfolg eigener Veranstaltungen und die Angst um jahrzehntelange Pfründe bewogen offensichtlich die RAMOG, den wohl schwärzesten Tag in der westdeutschen Modellraketengeschichte einzuleiten. Die Veranstalter wurden von Herrn Gründler beim Luftamt angeschwärzt, zwei Mitglieder hatten zuvor in Spionagemanier mit Fotoapperaten vor Ort "Erkundigungen" eingeholt. Mit allen Mitteln, u.a. einem Polizeieinsatz, Falschinformationen an Behörden wie Teilnehmer und der Instrumentalisierung des DAeC, wurde versucht, die Veranstaltung zu blockieren. Vergeblich, denn sie wurde ordnungsgemäß durchgeführt und zog auch in den Folgejahren immer mehr Teilnehmer an, ohne das daran etwas rechtlich auszusetzen gewesen wäre.

Für viele Modellflieger, auch prominente Mitglieder der RAMOG, begann damit trotzdem eine Wende. Polizeieinsätze und anderes gegen die eigenen Kollegen waren vielen doch zuviel. Die Wettbewerbe erreichten neue Tiefstrekorde, viele zogen sich ins rein private Fliegen zurück. Die kleine, alte Clique der aus der HOG kommenden Raketenflieger hatte nicht nur bewiesen, daß sie einen neuen Aufbruch nicht duldet und mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln bekämpft, sie war auch unfähig, etwas besseres anzubieten. Bis heute sind RMV und RAMOG eine Veranstaltung mit stagnierenden Anhängerzahlen um deren dominierende Vorsitzenden geblieben. Sie konzentrieren sich mitgliedermäßig (offizielle Zahlen werden aus guten Gründen nicht genannt) größtenteils auf deren Zentren Nürnberg und Augsburg und liegen je zwischen 10-20 Aktiven, was im Vergleich zu den tausenden Mitgliedern der NAR etwa völlig unbedeutend ist.

In der früheren DDR bestanden lokale Gruppen in Berlin und anderen Städten im Süden, die hauptsächlich am Wettbewerbsfliegen Interesse hatten. Sie waren in der wehrsportmäßig aufgebauten Gesellschaft für Sport und Technik (GST) organisiert. Nach der Wiedervereinigung retteten sie gewissermaßen die DAeC-Leistungssportwettbewerbe, die nach dem Polizeieinsatz von Traunstein am Absterben waren. Die Ehe hielt nicht lange, auch hier kam es bald zu Spannungen, die bis heute anhalten. Historisch bedingt lehnen viele "kommerzielle" Bausätze ab, was es schwierig machen dürfte, unter den gegebenen neuen Bedingungen neue Mitglieder zu finden.

Nachdem sich nach Auseinandersetzungen mit dem RMV auch Wolfgang Carstens aus dem Modellflug verabschiedet hatte, versuchten noch eine Reihe von Firmen, den Absatzmarkt zu erobern. Darunter die Firma Umarex mit einem Sportwaffen-Konzept, um die Verkaufsbestimmungen zu umgehen. Aber auch Modellflugfirmen wie Robbe scheiterten. Estes selber ist derzeit mit einer Diversifikation zum Hobbykonzern auf dem Heimatmarkt beschäftigt.

Anders als in den 70er und frühen 80er Jahren gibt es heute für den Modellbau viel Konkurrenz aus dem Medien- und elektronischen Markt. War früher Modellbau oft das Hobby für technisch Interessierte, muß es diese Position heute mit Computern und Multimediaanwendungen teilen. Um überhaupt eine Zukunft zu haben, muß sich neben einer Abgrenzung zur bisherigen Szene die Einstellung vieler Raketenflieger wandeln. Nicht die potentiellen Anfänger dürfen überhaupt froh sein, wenn sie zu dem kleinen elitären Kreis dazustoßen können. Die Profis müssen die Strukturen attraktiv machen und überzeugen, daß Ihr Hobby es wert ist, sich damit auseinanderzusetzen.

Attraktiv wird Modellraketenflug dann, wenn es keine unzumutbaren Hürden wie T2 gibt, wenn man nicht umständlich über Versand seine Treibsätze ordern muß, wenn ein lokaler Verein ohne Kaninchenzüchtermentalität auch Anfängern konkrete Hilfe gibt. Und wenn es vor allem endlich auch eine bundesweite Lobby gibt, die Aktivitäten koordiniert, ohne dabei nur Politik und Ideologie zu betreiben. Wenn das gelingt, hat das Hobby wirklich eine Zukunft.

Oliver Missbach, 21.12.98

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(c) 1998 Oliver Missbach