Der "T2-Schein"

Jeder, der sich länger mit Modellraketenflug in Deutschland beschäftigt und seine Möglichkeiten erweitern will, stößt früher oder später auf die Bezeichnung T2-Schein. Was hat es damit auf sich, wie sind die Voraussetzungen und was kann man mit diesem Schein überhaupt anfangen?

Zuerst ein kurzer Ausflug ins Sprengstoffrecht: dort werden Modellraketen-Treibsätze in die Klassen T1 und T2 unterteilt. Die T-Klassen sind pyrotechnische Gegenstände für technische Zwecke, denen auch die Modellraketen-Treibsätze zugeordnet sind. T1 bezieht sich auf Treibsätze mit weniger als 20 Gramm pyrotechnischer Antriebsmasse, T2 für alles darüber.

Im Sprengstoffgesetz wird geregelt, daß Motoren der Klasse T2 nur erwerben, vertreiben und verwenden darf, wer in Besitz einer Erlaubnis nach §27 des Sprengstoffgesetzes ist. Gleiches gilt für die Bündelung (Clustering) von Treibsätzen und für den Flug von Mehrstufenraketen, wobei es egal ist, ob es sich dabei um Motoren der Klasse T1 oder T2 handelt. Auch für den Umgang mit Schwarzpulver (etwa für Zündzwecke) wird eine sog. Erlaubnis nach §27 des Sprengstoffgesetzes (wie der T2-Schein offiziell heißt) benötigt.

Beantragt kann der sog. T2-Schein bei den zuständigen Ordnungsämtern werden. Das sind je nach Bundesland z.B. die Gewerbeaufsichtsämter. Um den Schein zu erhalten, müssen gewisse Auflagen erfüllt werden. U. a. Zuverlässigkeit (d. h. keine einschlägigen Vorstrafen), ein Mindestalter von 21 Jahren (ab 18 mit Ausnahmegenehmigung), ein berechtigtes Interesse (in der Regel die Mitgliedschaft in einem Modellraketenverein) und eine erfolgreich abgelegte Prüfung.

Die Prüfung kann in der Theorie bei jedem Ordnungsamt abgelegt werden. Hier liegt schon der erste Pferdefuß. Obwohl fast alle Ordnungsämter ähnliche Prüfungen z.B. im Bereich Sprengstoffrecht für Böllerschützen o.ä. durchführen (die ebenfalls eine Erlaubnis nach §27 benötigen), gibt es praktisch nirgendwo Ordunungsämter, die auch in der Lage wären, für Modellraketenflieger solche Prüfungen abzunehmen. Die Materie ist einfach zu speziell, denn neben dem Sprengstoffrecht kommt noch das Luftrecht und einige Nebenbestimmungen dazu. Ganze zwei Ordnungsämter nehmen in der Bundesrepublik unregelmäßig in Zusammenarbeit mit lokalen Vereinen solche Prüfungen ab. Mehr dazu noch später.

Der zweite Pferdefuß liegt in der Tatsache, daß selbst ein gültiger T2-Schein noch keine uneingeschränkten Flugfreuden verspricht. Wer nämlich eine T2-Rakete (also solche mit T2-Treibsätzen oder auch Bündelungen und Mehrstufenraketen) starten will, braucht, anders als bei T1-Flügen, eine Aufstiegserlaubnis. Diese werden wiederum von den Luftämtern erteilt und setzen u.a. ein zugelassenes Fluggelände voraus. Dafür gibt es dann wieder eigene Richtlinien und die Genehmigung liegt im Ermessen des Luftamtes. Auch hier haben wieder die wenigsten Luftämter Erfahrungen mit Modellraketen, was in der Praxis zuerst einmal mit viel Behördenbürokratie verbunden ist. Das kann soweit gehen, daß das Luftamt meteorologische Gutachten über die Windverhältnisse in mehreren hunderten Metern Höhe will, wie es einem T2-Schein-Inhaber in Nordrhein-Westfalen erging. Auch diverse andere Gutachten oder Auflagen sind denkbar und vor allem muß vor jedem einzelnen Start diese oft monatelange bürokratische Prozedur wiederholt werden, von den Gebühren ganz abgesehen.

Was den zukünftigen T2-Schein-Inhabern auch gerne verschwiegen wird, ist die Tatsache, daß es derzeit in der Bundesrepublik praktisch keine zugelassenen T2-Modellraketenmotoren gibt. Denn auch T2-Treibsätze müssen -wie T1-Motoren- von der Bundesanstalt für Materialprüfung zugelassen sein. Zusätzlich müssen auch die Vertreiber solcher Motoren eine T2-Erlaubnis haben und spezielle Lagerbedingungen erfüllen. Der Kreis der T2-Schein-Inhaber ist aber durch die praxisfremde T2-Regelung so klein, daß kein kommerzieller Anbieter derzeit solche Motoren anbietet. Vor Jahrzehnten wurde der D12-5 Motor von ESE vertrieben, die Firma existiert jedoch nicht mehr. Eine spezielle Variante des Held-Motors wurde in den 70er Jahren einmalig produziert, ist aber ebenfalls fast nur noch als Sammlerstück erhältlich. Die großen US-Firmen wie AeroTech haben ihre Motoren aus wirtschaftlichen Überlegungen auf dem deutschen Markt erst garnicht zugelassen.

Die T2-Regelung wurde in den 70er Jahren in die Gesetzesbücher aufgenommen. Zu dieser Zeit war auch in den USA der D12-Motor noch ein High-Power-Motor. Inzwischen gibt es dort -wie auch in vielen anderen europäischen Ländern- Motoren der Stärken E-H relativ frei zu kaufen. Einzig in Deutschland existiert seit Jahrzehnten eine völlig praxisfremde Regelung, die die Entwicklung des Modellraketenfluges hemmt und behindert.

Warum hat sich die Raketenlobby in den letzten Jahrzehnten nicht für eine zeitgemäße Reform dieser Regelungen eingesetzt? Seit nun fast 3 Jahrzehnten bietet die heutige RAMOG (früher HOG) aus Augsburg Schulungen und Prüfungen (zusammen mit dem zuständigen Gewerbeaufsichtsamt) an. Sie versteht sich selbst (trotz bescheidener Mitgliederzahlen und eher lokaler Ausrichtung) als eine Art bundesweite Vertretung des Hobbys. Trotzdem ist nichts darüber bekannt, daß sie sich für eine fällige Reform der Bestimmungen eingesetzt hätte, es drängt sich im Gegenteil der Verdacht auf, daß diese Art Monopolstellung ein willkommenes Mittel ist, um neue Mitglieder zu rekrutieren und Gebühren zu erhalten. So liegen die direkt abzuführenden Prüfungsgebühren an das Gewerbeaufsichtsamt weit niedriger als die DM 300,-, die die RAMOG derzeit von den Teilnehmern kassiert (von den anderen Kosten wie Anfahrt, Übernachtung etc. für den 3tägigen Kurs ganz angesehen).

Der Autor hat hier selber entsprechende Erfahrungen beim Ablegen seines eigenen T2-Scheines im Jahre 1984 gemacht. Zusammen mit Kollegen der Münchner Modellraketengruppe hatte er sich beim zuständigen Gewerbeaufsichtsamt in München direkt zur nächsten offiziellen Prüfung angemeldet. Die (damalige) HOG hatte daraufhin versucht, beim Gewerbeaufsichtsamt den Ausschluß der direkt angemeldeten Teilnehmer zu erwirken. Prüfungen nach §27 sind jedoch öffentlich, d.h. keine Privatveranstaltungen eines bestimmten Vereines. Jeder kann daran teilnehmen und sich dazu direkt beim zuständigen Ordnungsamt anmelden und braucht dazu auch nur die tatsächlich fälligen Gebühren direkt an das Amt zu zahlen. Das Ansinnen der HOG wurde natürlich von Gewerbeaufsichtsamt zurückgewiesen, der Vorgang ist jedoch bezeichnend.

Und trotz Schein gibt es für T2-Kandidaten viele Hürden und der Schein ist in der derzeitgen Lage eher wertlos, weil u.a. die notwendigen Motoren nicht verfügbar sind. Dringend erforderlich wäre, wie erwähnt, eine praxisnahe Reform der gesamten Gesetzgebung für Modellraketenflug. So werden in den USA Treibsätze schon seit Jahrzehnten als Spielzeug-Feuerwerk klassifiziert. Auch bei uns gibt es dafür die Klasse I (Feuerwerksspielwaren), in die solche Motoren mit einer Ausnahmegenehmigung bei der Gewichtsregelung zugeordnet werden könnten. Das würde auch viele Probleme beim Versand lösen (Gegenstände der Klasse T dürfen nämlich nur per Bahnspedition als Gefahrengut verschickt werden, d.h. nicht per Post, und haben so strenge Lager- und Verkaufsbedingungen, so daß sich die meisten Geschäfte bis heute weigern, Modellraketen und Treibsätze ins Programm zu nehmen).

Praktisch wurden solche Forderungen neben den USA bereits in vielen anderen Ländern, etwa Großbritannien, mit Erfolg umgesetzt. Auch anfängliche Sicherheitsbedenken haben sich schnell als unbegründet herausgestellt. Eine starke High-Power, Raketengleiter- und Amateurflugszene entstand, die bei uns fast vollkommen fehlt. In Deutschland hat die über Jahrzehnte bestimmende Modellraketen-Lobby nichts unternommen, diesen Zustand zu ändern. Er wurde im Gegenteil aus durchsichtigen Gründen noch zementiert und gefördert. Auch darum wird es Zeit, daß die Modellraketenflieger in Deutschland eine Interessenvertretung bilden, die Ihre Interessen wirklich vertritt und sich für sinnvolle und notwendige Reformen einsetzt.

Oliver Missbach, 16.02.99

Hinweis: Weitere Informationen zum T2-Schein gibt es auf modellraketen.info: Unter Knowhow findet sich ein Artikel zum Thema!

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