Osten traf Westen

Niederhasli/CH (Edgar Muntwyler) - AMATEUR-ROCKETEERS AUS DEN VEREINIGTEN STAATEN TRAFEN SICH VOM 29.9. - 1.10.88 IN WALLOPS 15-LAND, VA (USA) ZU EINEM WOCHENENDE MIT WETTBEWERB UND ZUR PFLEGE DER FREUNDSCHAFT. EDGAR MUNTWYLER BERICHTET DARÜBER.

,,Trie. . .D'va. . Odeen. . Start" - ich drückte den Knopf meiner Stoppuhr, als wir alle dem sowjetischen Modell nachachauten, welches in den dunstigen Himmel entschwand. Der Dunst machte das Beobachten schwierig. Obwohl wir ,,langbeschilderte" Colfmützen trugen, mußten wir auch noch die Hände um die Augen legen, um das Modell zu orten. ,,Ich seh es", rief mein Partner und wirklich, auch ich sah den violetten Schirm einen Moment später, nachdem ich meinen Nacken ,,bis zum geht nicht mehr" nach hinten gebogen hatte.

Wir nahmen unsere Feldstecher zu Hilfe und sahen nun deutlich die Spitze und das Rohr am Schirm hängen, welcher langsam über die nördlich gelegenen Gebäude davontrieb. Drei Männer in roten Trainern mit weißer Aufschrift CCCP ,,joggten" über den Grasplatz dem Modell nach. Ich schaute auf die Stoppuhr und meldete Max-Zeit, ließ den Feldstecher sinken und schloß für einen Moment die Augen. Mein kanadischer Zeitnehmer-Partner und ich füllten die Startkarte aus und unterschrieben für den fünfminuten-Flug. Fünf Minuten war das MAX für diese Runde, in welcher nun die Sowjetunion führte.

Obige Szene spiegelte sich nicht im Baikonur-Cosmodrome ab, sondern in Virginia auf dem sumpfigen Boden der historischen NASA-Station Wallops. Wir wurden fast lebend von den bösartigem Mücken gefressen. Doch 7. Brückenstiche konnten die Freude über das allererste Treffen mit den Kollegen aus der Sowjetunion nicht trüben.

Es war der krönende Abschluß einer mehr als dreijährigen harten Arbeit von Albert Nazorov aus der Sowjetunion sowie von lloward Kuhn und Patrick Miller aus den USA. Diese hatten sich durch die zänflüssige Bürokratie beider Länder zum Erfolg durchgekänpft. Freude verdrängte den Ärger. Beide Teams hatten die Besten geschickt, welche sich nun gegenüberstanden,

Das ganze Wochenende begann am Donnerstag, als eben erfolgreich der (richtige) Shuttle Discovery gestartet wurde. Das sowietiBohe Team und die internationalen Offiziellen, je zwei aus Frankreich, England und Kanada sowie einer aus Jugoslawien, kamen am Nachmittag auf dem Internationalen Flughafen von Washington/Dulles am. Nach einer ,,Sondersession" auf den Zollbehörden über den Inhalt einer Kiste mit Raketenmotoren fuhren wir nach Wallope. Von einer ,,steifen" Eröffnungsfeier bis zum Finale (und mit tränenvollen Abschiedsumarmungen) gaben sich beide Teams und die NASA große Mrühe, dieses Treffen unvergeßlich zu machen.

Keiner der sowjetischen Teilnehmer war je vorher in den USA und viele von uns hatten nie vorher einem Sowjet gegenübergestanden. Wir standen in kleinen Gruppen und betrachteten einander neugierig. Aber bereits am zweiten Tag lachten und arbeiteten wir zusammen, nur die Sprache war noch ein kleines Problem.

An Freitag richteten wir die Startrampen ein. Beide Teams flogen Trainingsflüge, um das Gelände und den Gegner zu testen. Obwohl die Sowjets noch unter dem ,,jetlag" litten und tapfer gegen Zeitungareporter und Kameramänner känpften, obsiegten sie auch über die Mücken und die feuchte Wärme. Sie und auch die Amerikaner wurden in je vier Gruppen aufgeteilt: Rot und Gold, Weiß und Blau.

Die erste Runde des Wettkampfes - Strömer und Fallschirm - begann am Samstag. Die Sowjetunion schnappte sich alle drei erste ersten Plätze in der Strömer-Dauerflug-kategorie, weil ihre Modelle und die Strömer wesentlich leichter waren als je-ne der Amerikaner. Es wurden drei Durchgänge geflogen.

Die Teams waren etwa gleich stark in der Fallschirm-Dauerflugkategorie. Das sowjetische Team ,,raffte" die Schirme in der zweiten und' dritten Runde, weil ein frischer Wind aufgekommen war und sie viele Modelle verloren an ,,wilde raketenfressende Bäume" - trotz heroischer Versuche der Rückholmannschaft. Sie verloren den ersten und dritten Platz an die Amerikaner.

Die Teams waren zwischen den Durchgängen dieses Tages mit des Autos zur Wallops Island Abschußrampe gefahren, wo wir den Erstflug einer (richtigen) Black Brant 12, einer großen vierstufigen Feststoff-Forschungarakete verfolgen konnten. Wir saßen just außerhalb der Abschunzone auf einem grasigen Hügel, schauten zum Turm, lauschten dem Countdown aus dem Lautsprecher, übertragen aus dem Kontrollraun. Und plötzlich sahen wir ,,sie"!: Ein schneller schwarzer Schatten über einem orange-weißem Rauchpilz. Er verschwand in Dunst, bevor das röhrende Donnern des Abschussesuns erreichte, Sowjets und Amerikaner, alle klatschten und jubelten einander zu. Dann fuhren wir zu unseren Startrampen zurück.

An diesem Abend waren wir zu einem Seefood-Essen bei den Einwohnern von Chincoteague-Island eingeladen. Diese hatten viele Kilogramm von gekochten Muscheln, Krabben, Crevetten, Austern sowie geröstetes Korn und gegrillte Hühnchen und auch frisches warmes Brot auf dem Platz zubereitet. Auch Mineralwasser und zwei Fässer Bier zum Spülen standen bereit. Trotz Sprachschwierigkeiten, ungleiche Essenagewohaheiten und Vorurteilen hatten alle riesig Spaß an diesem Fest.

Die Sowjets brachten den besten Wodka mit, welchen ich je versucht habe und jedermann wurde beschenkt mit kleinen Anstecknadeln, welche von Reklamen von Städten bis zum Jubiläum des Sputniks reichten. Wir saßen noch lange zusammen, sangen Lieder und festeten mit den spendefreudigen Insulanern von Chincoteague.

Am nächsten Morgen hatten noch einige leichte Kopfschmerzen. Trotzdem begann der Wettbewerb zur Zeit. Die Luft war still und es war schon früh heiß. Die Mücken waren an der Arbeit! Wir begannen mit der Kategorie Boostgleiter, bei welcher ein Rogallo mit der Rakete zum Scheitelpunkt getragen und dort ausgestoßen wird. Die Luft war so still, daß es sehr wenige Max gab. Auch hatten wir viele Probleme mit den Triebwerken und viele Flüge waren Nuller. Das US-Team gewann den ersten und dritten Platz, die Sowjets den zweiten.

Am Nachmittag kam Wind auf. Dieser brachte etwas Erlösung von den Mücken, machte aber das bevorstehende RC-Gleiterfliegen viel schwieriger. Im Laufe des Wettkampfes nahm der Wind stark zu. Den Sowjets zerbrachen zwei Modelle in der Luft, als beim Erreichen des Scheitelpunktes das Entfalten der Flügel nicht gelang. Dieses Flügelfalten für den Start ist eine Spezialität an den sowjetischen Modellen im Gegensatz zu den amerikanischen, welche einen festen Flügel aufweisen. Ein Flügel wurde ganz einfach komplett abgerissen! Die Amerikaner gewannen diese Kategorie für sich.

Der letzte Tag brach an, kühl, windig und regnerisch. Angefangen wurde mit der Kategorie Scale. Die Sowjets brachten drei perfekt gebaute Modelle der Wostock-Rakete, die Amerikaner brachten eine Saturn 18 sowie eine Ariane 3 an den Start. Die Ariane erhielt am meisten ,,statische" Punkte, aber beim Flug zündete das Triebwerk nicht sauber und nach einem kurzen Flug fiel das Modell aus 30 Metern Höhe auf die Betonpiste! Obwohl die Wostocks auch Triebwerkprobleme hatten, gewann die Sowjetunion die Mediallienplätze.

Zwischen den Durchgängen schlugen wir uns in die Cafeteria, um die sichere Rückkehr der ,Discovery' zur Mutter Erde zu begießen. Zum Schluß wurde die Kategorie Scale-Höhenmodelle geflogen, in welcher wiederum das Wetter die entscheidende Rolle spielte. Die sowjetischen Modelle flogen so hoch, daß sie in den tiefliegenden Wolken verschwanden. Dadurch wurde diese Kategorie von den USA gewonnen.

Das abendliche Abschlußbankett mit Siegerehrung im Wallops Island Rocket Club war schön und zugleich traurig, weil den neu gewonnenen Freunden schon wieder lebewohl und adieu gesagt werden mußte. Die Sowjets versprachen uns, 1991 einen Wettbewerb in Moskau durchzuführen; sie versprachen uns auch, Spezialmücken zu züchten, damit wir uns wie zu Hause fühlen würden!

(aus COUNTDOWN 1/90 - Nachdruck ohne Genehmigung verboten!)

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